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Der junge Wilde Marvin Siebdrath: Oder der Versuch, Boden unter die Füße zu bekommen

Warten auf die Maschine die Marvin Siebdrath gerade auf der Strecke abgelegt hat.
Warten auf die Maschine die Marvin Siebdrath gerade auf der Strecke abgelegt hat. (© Motosports24)

Der Gesichtsausdruck völlig regungslos. Starr geht der Blick geradeaus. Ob jetzt überhaupt noch irgendwelche Worte ankommen? Es ist der erste Tiefpunkt der noch jungen Saison. Zu langsam, die Zeit reicht nicht. Das Rennen findet ohne Marvin Siebdrath statt. Zwei Fahrer schaffen es nicht, sich für das Rennen in Valencia zu qualifizieren. Einer konnte verletzungsbedingt keine Zeit fahren, der andere Fahrer war an diesem Tag nicht schnell genug. Und dieser eine Fahrer heißt ausgerechnet Marvin Siebdrath.

 

Das der Schritt vom ADAC Northern Europe Cup in den European Talent Cup ein großer wird, das dürfte für Marvin und die anderen Neulinge klar gewesen sein. Denn im European Talent Cup, kurz ETC, sind vor allem sehr viele Spanier unterwegs, die einen extrem großen Vorteil von vorneherein mitbringen: Die Streckkenntnis. Man kann eine Strecke noch so oft in der Theorie angesehen haben, auf der Playstation gespielt, in Videos studiert haben. Nichts ersetzt das persönliche Feeling. Die Kurven auf Augenhöhe, die richtigen Bremspunkte, der Grip des Asphalts, die Wärme, das Licht und die Atmosphäre sind nur einige Punkte die man einfach nur spürt, wenn man selbst auf der Strecke ist.

 

Der erste Aufschlag in der neuen Serie findet in Portugal statt. Das einzige Rennen auf nichtspanischem Boden. Die Strecke neu, ebenso das Team und das komplette Umfeld. 2017 war die Entwicklung in der Saison klar erkennbar. Der Platz auf dem Podest war zum greifen nah. Viel fehlte nicht mehr. Jetzt, 2018, wieder alles auf null in der neuen Serie. Die Bedingungen könnten beim ersten Rennen kaum schwieriger sein. Immer wieder regnet es, aber auch nicht dauerhaft. Es gibt für einen Motorradfahrer kaum schwierigere Bedingungen als Mischverhältnisse, wo es nicht gleichmäßig nass, aber auch nicht richtig trocken ist.

Die Maschine von Marvin Siebdrath sieht nach einem Crash nicht mehr ganz so frisch aus.
Die Maschine von Marvin Siebdrath sieht nach einem Crash nicht mehr ganz so frisch aus. (© Motosports24)

Mit diesen Bedingungen gilt es in Estoril – der ersten Station der Saison 2018 – aber klar zu kommen. Der große Vorteil in diesem Moment ist: Sie gilt erstens für alle und zweitens gibt es genug Zeit sich darauf einzustellen. Im ETC gibt es an den ersten zwei Tagen mindestens vier freie Trainings, in denen man die Strecke kennenlernen und das Motorrad auf seine Bedürfnisse einstellen kann. Diese Zeit ist in Portugal für Marvin Siebdrath umso wichtiger, weil er erstmals auch auf sein neues Team trifft. Entscheidend sind diese Tage aber nicht, denn die Fakten werden erst samstags im Qualifying und vor allem dann sonntags im Rennen geschaffen.

 

Das erste Qualifying gelingt für ihn direkt. Von 44 qualifizierten Fahrern für das Rennen landet Siebdrath auf Rang 30. Für den ersten Aufschlag gar nicht mal so übel. Auch das erste Rennen funktioniert direkt besser als gedacht. Auf Platz 21 landet Siebdrath im Ziel. Das Grinsen und die Schultern sind breit. Entsprechend hoch sind die Erwartungen für Rennen Nummer zwei, was noch am gleichen Tag stattfindet. Auch hier gelingt vieles, wenn auch der Endstand mit Rang 25 ein klein wenig schlechter ausfällt als noch zuvor. Trotzdem: Auf so einen Auftakt kann man aufbauen.

 

2018 ist das Starterfeld im European Talent Cup prall gefüllt. Waren in 2017 immer nur rund 30 Fahrer am Start, wird die 40er Zahl jetzt bei jedem Rennen überschritten. Der Zulauf ist groß. Das liegt einfach auch daran, dass andere Serien gar nicht mehr existieren. Das konnte Marvin Siebdrath schon zweimal hintereinander am eigenen Leib spüren. Zuerst endete 2016 der Moriwaki Cup, eine Nachwuchsserie, die vor allem von vielen Niederländern gut frequentiert war. 2017 ging es dann mit dem ADAC Northern Europe Cup zu Ende. Somit drängelt sich der Nachwuchs nun hier im ETC, um der eigenen Karriere den entsprechenden Schwung zu verleihen.

 

71 Fahrer sind 2018 im ETC gemeldet, nicht alle fahren bei allen Rennen und vor allem die Saison überhaupt zu Ende – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Alleine 28 Fahrer kommen dabei aus Spanien. Knapp 40 Prozent der Starter sind das und die bringen einen entscheidenden Vorteil mit: Sie kennen vieles mehr als ihre Mitstreiter in dieser Serie. Und so wundert es nicht, wenn im Laufe der Saison sieben Fahrer unter den ersten zehn die Nationalität „SPA“ hinter ihrem Namen tragen.

Marvin Siebdrath bei seinem Rennen in Barcelona.
Marvin Siebdrath bei seinem Rennen in Barcelona. (© Nico Schneider)

Der spanische Motorradnachwuchs hat es zum Start deutlich leichter als Fahrer aus anderen Ländern. Grundsätzlich schon mal aufgrund der Witterungsverhältnisse. Während in Deutschland oft Wochen und monatelang Straßen verschneit oder vereist sind, kann der Spanier noch bei (für uns) teils frühlingshaften Temperaturen aufs Motorrad steigen. Hinzu kommen die Trainingsbedingungen. Gefühlt an jeder Ecke in jedem noch so kleinen Ort befindet sich irgendeine Trainingsmöglichkeit. Es muss ja nicht gleich eine hochprofessionelle Rennstrecke sein, von denen es in Spanien aber auch mehr als reichlich gibt.

 

Ein Ausflug der Familie mit dem Motorrad zur Strecke ist daher in Spanien etwa so gewöhnlich wie der hiesige Besuch beim Fußballclub um die Ecke. So ist ganz einfach nachzuvollziehen, mit welchem Startvorteil die jungen spanischen Fahrer in Serien wie dem European Talent Cup ankommen. Die haben zigtausende von Kilometern in diesem Moment schon mehr im Hintern als beispielsweise ein deutscher Pilot. Und wenn es der eine spanische Fahrer dann nicht schafft, dann eben der nächste.

 

Ob diese Art von Nachteil von nichtspanischen Fahrern überhaupt eingeholt werden kann? Ich habe da so meine Zweifel. Denn nicht nur das mehr an Trainingskilometern spielt ihnen in die Hände, sondern auch die Streckenkenntnisse. Während Fahrer wie Marvin Siebdrath sich eine Strecke erst mühevoll erarbeiten müssen, haben die Kollegen aus dem südlichen Europa schon jedem Steinchen auf der Strecke schon persönlich begrüßt.

 

Doch zurück auf die Strecke und den Alltag im ETC. Nach dem recht zuversichtlichen Start von Marvin Siebdrath in Portugal, sollte daran in Valencia bei zweiten Rennen angeknüpft werden. Schon der Beginn verläuft dort rumpelig, in den freien Trainings kommt es zu den ersten Stürzen. Ein Sturz bedeutet jedes Mal auch, dass ein kleines Stückchen vom Selbstvertrauen abgeknabbert wird. Und das passiert auch hier. Nach den Stürzen am Donnerstag und Freitag passiert es auch im Qualifying am Samstag. Die Unsicherheit wird größer und so fehlen Siebdrath am Ende die entscheidenden Zehntel, um sich fürs Rennen qualifizieren zu können. Die Reaktion? Der erste Absatz gibt ausführlich Auskunft.

Seit dieser Saison ist die Zusammenarbeit mit dem Team für Marvin Siebdrath noch intensiver geworden.
Seit dieser Saison ist die Zusammenarbeit mit dem Team für Marvin Siebdrath noch intensiver geworden. (© Motosports24)

Wie geht man nun mit so einem Rückschlag um? Kopf in den Sand stecken oder direkt wieder die Ärmel nach oben krempeln? Marvin Siebdrath ist nicht der Typ um schnell aufzugeben. Das bestätigen mir alle Menschen, die ihn näher kennen. Eher ist es so, dass ihm sein Ehrgeiz und der unbedingte Wille etwas zu schaffen, manchmal eher mehr im Weg steht als nicht vorhanden zu sein. Die Enttäuschung nach diesem Rückschlag ist in diesem Moment riesig, so dass auch für einen Moment kein Rankommen ist. Aber das verfliegt. Spätestens beim nächsten Rennen.

 

Wiedergutmachung lautet daher das Ziel bei den nächsten Stationen in Barcelona und Aragon. Die gelingt in Barcelona – wenn auch nur zum Teil. Die Qualifikation für das Rennen funktioniert diesmal mit Platz 34 problemlos. Im Rennen selbst geht es nur bis Platz 30 nach vorne. Nach dem Auftakt in Portugal eher ein enttäuschendes Ergebnis.

 

Richtig brutal wird es allerdings beim wohl härtesten Rennen des Jahres in Aragon. Bei rund 40 Grad Außen- und über 60 Grad Streckentemperatur geht es für Siebdrath und seine Kollegen an den Start. Platz 27 in der Startaufstellung zeigt eine kleine Tendenz in die richtige Richtung. Die Rennen verlaufen mit den Plätzen 29 und 24 zwiespältig. Richtig schlecht ist es nicht, aber der große Schritt nach vorne ist es auch nicht.

 

Der Motorradsport ist ein gnadenloses Geschäft und deswegen ist das Treten auf der Stelle schon fast ein Schritt zurück. Noch schneller als in anderen Sportarten wird aussortiert und Hoffnungen zerstört. Hoffnungen und Träume junger Talente zerplatzen schneller als ein mit Wasser gefülltes Kondom. Entwicklung ist daher erste Pflicht, sonst könnte die erste Saison im European Talent Cup für Siebdrath schon gleichzeitig die letzte werden.

 

Entscheidend für das weiter Fortkommen sind daher Ergebnisse, erkennbare Entwicklungen, ein Team mit dem man zusammen arbeiten kann und ausreichend finanzielle Ressourcen. Ob das zusammen alles erfüllt werden kann?

 

Markus Kahl


Deutschland fehlt der Motorrad Rennsportnachwuchs. Ein Problem, mit dem viele „Randsportarten“ zu kämpfen haben. Aber es gibt sie natürlich, die Kinder und Jugendlichen, die den Motorradsport mit Leidenschaft betreiben. Sie haben große Ziele, Träume. Doch wo wird der Weg sie hinführen?

 

Diese Frage haben wir uns auch gestellt und deshalb beschlossen: Wir finden es einfach heraus. Ab sofort werden wir Motorradsport Nachwuchs in dieser Rubrik begleiten. Nicht ein Rennen, nicht zwei Rennen, sondern sehr viel länger. Vielleicht ein Jahr, vielleicht auch mehrere Jahre. Wir wollen immer wieder zeigen wo sie stehen, wie sie sich entwickeln und wo Hindernisse auftreten.

 

Die jungen Wilden. Der Motorradsport Nachwuchs bei Motosports24.

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