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Der junge Wilde Marvin Siebdrath: Wie innerhalb eines Tages plötzlich die Karriere futsch sein kann

Marvin Siebdrath bei der Präsentation seines neuen Teams von PrüstelGP am Sachsenring
Marvin Siebdrath bei der Präsentation seines neuen Teams von PrüstelGP am Sachsenring. (© www.gp-photo.de, Ronny Lekl)

Das Wort Veränderung kann sowohl positiv wie negativ belegt sein. Initiiert man selbst eine Veränderung, ganz von selbst und aus freien Stücken, dann freut man sich in der Regel darüber. Schlimmer wird es, wenn einem eine Veränderung von außen aufgezwungen wird. Eine Veränderung, die man weder beeinflussen kann und die man vielleicht auch nicht gewollt hat. Manchmal passieren Veränderungen aber auch einfach, ohne dass man sie angestoßen hätte.

 

Die Entwicklung eines Menschen beispielsweise ist eine Veränderung die man – rein körperlich gesehen – nicht zwingend beeinflussen kann. Statt eines Kindes steht vor einem plötzlich ein junger erwachsener Mann oder eine junge erwachsene Frau. So geschehen auch bei unserem jungen Wilden Marvin Siebdrath. 2017 hatte ich ihn bei der Teampräsentation des damaligen Juniorteams von IntactGP kennengelernt. 13 Jahre war er zu diesem Zeitpunkt alt. Ein Jahr später steht ein fast ganz anderer Mensch vor mir.

 

Ich gebe zu: Ich habe es als Kind gehasst, wenn irgendwelche Verwandte einen lange nicht gesehen hatten und einen dann mit dem klassischen Satz „Du bist aber groß geworden“ begrüßten. Tja und nun rutscht mir dieser Satz selbst heraus, als ich Marvin ein Jahr später wieder begegne. Mittlerweile 14 Jahre alt, die Stimme viel tiefer als noch zuvor, größer sowieso. Das ist nicht mehr das Kind, was ich noch vor über einem Jahr zum ersten Mal gesehen habe, sondern ein junger Mann.

 

Diese Art der Veränderung hat schon bei so manchem jungen Menschen den Fokus verschoben. Dinge, die bislang von Interesse waren, sind plötzlich nicht mehr so spannend. Die Hormone fahren im Körper Achterbahn und verändern den Blick auf vieles. Statt dem ach so geliebten Sport, steht plötzlich nur noch das weibliche Geschlecht im Mittelpunkt. Eine Veränderung, die es nicht nur für die jungen Menschen selbst, sondern auch für ihr Umfeld oft nicht leichter macht.

Marvin Siebdrath bei der Teampräsentation 2017
Marvin Siebdrath bei der Teampräsentation 2017... (© Motosports24)
Marvin Siebdrath bei der Teampräsentation 2018
...und 2018. Die Entwicklung ist nicht zu übersehen. (© www.gp-photo.de)

Und ja: Auch bei Marvin Siebdrath gibt es diese Veränderung. Nur mit dem Unterschied, dass der Sport und sein Ziel noch immer voll im Fokus stehen. Seine Saison im Northern Europe Cup hatte er 2017 erfolgreich beendet. Als Rookie konnte er sich als siebter in der Gesamtwertung in die Bücher eintragen. Nicht so schlecht, wenn man bedenkt, mit welch heißer Nadel der Einstieg in diese Serie damals gestrickt war.

 

Für 2018 war somit sein Ziel, in der Serie voll anzugreifen. Die Vorbereitungen dafür liefen optimal. Keine Verletzungen, die Organisation für das Team stand früh und sportlich war die Vorbereitung durchgeplant. Mit der Familie ging es sogar an Weihnachten nach Spanien auf die Rennstrecke, um sich optimal auf die neue Saison einzustimmen. Alles lief gut. Zu gut.

 

Denn der Januar sollte die komplette Planung über den Haufen werfen. Am 18. Januar 2018 verkündet der ADAC als Betreiber des Northern Europe Cup, dass die Rennserie ab sofort eingestellt wird. Nur sechs Fahrer hatten sich bis zum Stichtag eingeschrieben, zu wenige, um diese Serie am Leben zu erhalten. Die Folge: Für Marvin Siebdrath begann in diesem Moment wieder alles bei Null. Kein Team, kein Bike, keine Perspektive auf die Fortsetzung der Karriere. Sollte in diesem Moment der Traum auf eine große Motorradsportkarriere platzen?

 

Die Frage nach dieser Schocknachricht: Welche möglichen Alternativen gibt es? In Deutschland: Keine. Denn eine weiterführende Rennserie nach dem ADAC Junior Cup gibt es nicht. Das Klagen der Motorradsportler ist in Deutschland schon lange zu vernehmen. Es gibt nichts für den Nachwuchs heißt es Landauf, Landab. Und in der Tat sieht es düster aus. Während in Ländern wie Spanien oder Italien Nachwuchsserien die Talente sprudeln lassen, endet die Rennserienmöglichkeit für die Fahrer hierzulande, wenn die Jungs oder Mädels so etwa zwölf Jahre alt sind. Danach kommt in Deutschland nur noch: Nichts.

Marvin Siebdrath mit den weiteren Mitgliedern der PrüstelGP Junior Academy.
Marvin Siebdrath mit den weiteren Mitgliedern der PrüstelGP Junior Academy. (© www.gp-photo.de, Ronny Lekl)

Mit dem Ende des Northern Europe Cup endet damit die letzte Möglichkeit, die weitere fahrerische Entwicklung fortzusetzen. Nur mit dem Fahren alleine ist es nämlich auch nicht getan. Denn gerade Nachwuchssport lebt davon, sich mit guten oder besseren Mitstreitern messen zu können. Die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten wird gar eingebremst, wenn es für einen selbst kaum noch Wettbewerb gibt. Somit muss der Blick ins Ausland gehen. In Rennserien, die entweder national ausgetragen werden oder gar als Serien, die Nachwuchs aus der ganzen Welt mit aufnehmen. Das klingt zumindest auf dem Papier hochinteressant, doch die Hürden sind hoch. Denn: Die Plätze sind erstens nicht unendlich verfügbar und der finanzielle Aufwand liegt auch in diesen Serien schon bei einem hohen fünfstelligen Eurobetrag.

 

Doch zurück zu Marvin und seinen ganz persönlichen Problemen in diesem Moment. Das Telefon stand ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wirklich still. Hinter den Kulissen bemühte sich vor allem sein bisheriges Team und deren Verantwortliche, eine Alternative für ihre Fahrer aufzutun. Und sieh da: Nach langen Verhandlungen und zähem Ringen kam für Marvin die erlösende Nachricht: Es geht weiter.

 

Da auf der nationalen Ebene keine Fortführung einer passenden Rennserie mehr angeboten wurde, war der Gang in Richtung Spanien mit den dortigen Angeboten unausweichlich. Rein sportlich gesehen sicher nicht die schlechteste Option. Allerdings vom benötigten Budget wie vom sportlichen Anspruch mindestens eine Klasse höher anzusiedeln als bislang. Und es wäre nach den letzten Jahren in der Entwicklung sicher nicht schlecht gewesen, einmal zwei Jahre hintereinander mit dem gleichen Bike und gleichem Umfeld unterwegs zu sein.

Marvin Siebdrath bei der Vorstellung des Teams für 2018 von PrüstelGP.
Marvin Siebdrath bei der Vorstellung des Teams für 2018 von PrüstelGP. (© PrüstelGP)

Trotzdem war in diesem Moment vor allem erst einmal Aufatmen angesagt, denn die Karriere hing am sogenannten seidenen Faden. Die Schwierigkeiten in Deutschland Fuß zu fassen, sind für ein junges Motorradtalent unübersehbar. Durch die immens hohen Kosten von Technik und vielem mehr ist eine finanziell gut aufgestellte Basis der Schlüssel zu allem. Und der fehlende Wettbewerb im Inland mit ebenso fehlender Möglichkeit überhaupt in einer weiterführenden Serie zu fahren, treibt die Kosten durch den Wechsel ins Ausland noch weiter in die Höhe. Schwierige Startoptionen somit, die einen mit der Frage zurücklassen: Wie kann mit einer doch recht kurzfristig gestrickten Lösung wie dieser der Start gelingen?

 

Marvin wird 2018 seine Motorradsportkarriere im European Talent Cup fortsetzen. Das ist eine Rennserie, die fast ausschließlich auf spanischen Rennstrecken absolviert wird. Junge Motorradtalente aus der ganzen Welt gehen hier an den Start. Eingebunden ist diese Rennserie in die FIM CEV Repsol, bei der auch die Junioren Weltmeisterschaft und die europäische Moto2 Meisterschaft ausgetragen werden. Sicher nicht die schlechteste Möglichkeit sein Können unter Beweis zu stellen und sich mit den talentiertesten Motorradsportkollegen zu messen.

 

Zusätzlich hat er auch noch das Glück, in die neue PrüstelGP Junior Academy eingebunden zu sein. Das PrüstelGP Team fährt in der Moto3 Weltmeisterschaft mit zwei Fahrern und unterstützt zusätzlich noch Nachwuchsfahrer in ihrer Junior Academy, die in unterschiedlichen Serien an den Start gehen. Marvin Siebdrath ist einer dieser Jungs. Die Reise geht für ihn also weiter.

 

Markus Kahl

Die jungen Wilden Motorradsport Nachwuchs bei Motosports24

Deutschland fehlt der Motorrad Rennsportnachwuchs. Ein Problem, mit dem viele „Randsportarten“ zu kämpfen haben. Aber es gibt sie natürlich, die Kinder und Jugendlichen, die den Motorradsport mit Leidenschaft betreiben. Sie haben große Ziele, Träume. Doch wo wird der Weg sie hinführen?

 

Diese Frage haben wir uns auch gestellt und deshalb beschlossen: Wir finden es einfach heraus. Ab sofort werden wir Motorradsport Nachwuchs in dieser Rubrik begleiten. Nicht ein Rennen, nicht zwei Rennen, sondern sehr viel länger. Vielleicht ein Jahr, vielleicht auch mehrere Jahre. Wir wollen immer wieder zeigen wo sie stehen, wie sie sich entwickeln und wo Hindernisse auftreten.

 

Die jungen Wilden. Der Motorradsport Nachwuchs bei Motosports24.

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