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Marvin Siebdrath im Jahr 2017: Höhen, Tiefen und Lernerfolge eines Motorrad Nachwuchspiloten

Volle Schräglage beim Heimrennen am Sachsenring. Marvin Siebdrath gibt Vollgas.
Volle Schräglage beim Heimrennen am Sachsenring. Marvin Siebdrath gibt Vollgas. (© F. Glänzel)

Es war der Moment, an dem die angestaute Wut und Enttäuschung einfach raus musste. Die Tränen flossen nach dem Sturz beim drittletzten Saisonlauf in Silverstone. Und zwar heftig. Tränen, die sich nicht so schnell trocknen ließen, auch wenn eigentlich nicht viel passiert war. Ein Sturz in einem Rennen – das kann jedem Rennfahrer einmal passieren. Und erst recht einem so jungen Fahrer, wie es Marvin Siebdrath ist.

 

An diesem Tag auf der Insel dauerte es jedoch, bis die Enttäuschung verarbeitet war. Erst der zweite Nuller in der Saison. Für einen Rookie in dieser Klasse wahrlich kein Beinbruch. Doch so gut man manchen Rückschlag oft verdaut, in diesem Moment war die Welt alles andere als in Ordnung. Dabei gab es unter dem Strich gar keinen Grund dazu.

 

Mit 13 Jahren ging Marvin als jüngster Starter in seine erste Saison des ADAC Northern Europe Cup. Vieles war neu für ihn, als er Ende April im niederländischen Assen erstmals auf Punktejagd ging. 2016 war er noch im Moriwaki Cup gestartet, doch der musste zum Ende des letzten Jahres seine Pforten schließen. Eine neue Rennserie stand somit für ihn vor der Tür, mit jeder Menge neuer Eindrücke, die auf ihn warteten.

 

Was ist dabei die größte Herausforderung? Das Kennenlernen der neuen Maschine. Doch das gestaltete sich als gar nicht so einfach. Die Vorbereitungszeit war durch die Neugestaltung des Teams äußerst kurz. Bis auf das erste offizielle Training gab es quasi keine Gelegenheit die neue Maschine zu testen. Hinzu kamen auch noch neue Gesichter, ein neuer Ablauf, andere Gegner und vieles mehr, an das es sich zu gewöhnen galt. Ein zehnter Platz im ersten Rennen war daher ein respektabler Einstand in dieses Rennjahr 2017.

 

Ein gewisser Druck war somit da, diesen guten Einstand auch weiter fortzusetzen. Doch von wem kommt der Druck? Von ihm selbst? Vom Team? Von Eltern? Zur Halbzeit der Saison, war Marvins Teamchef Dirk Reissmann ganz entspannt, was dieses Thema angeht. „2017 ist ein Jahr zum Lernen“ erzählte er uns beim damaligen Gespräch am Rande des Deutschland Grand Prix am Sachsenring. „Für Marvin ist es das erste richtige Jahr in einer Meisterschaft auf einer Rundstrecke. Da kann und darf es Rückschläge geben. Aber wichtig ist für mich, uns und ihn, dass man eine stetige Entwicklung erkennen kann“.

So jung und schon so schnell. In Brünn fährt Marvin Siebdrath sein bestes Rennen des Jahres.
So jung und schon so schnell. In Brünn fährt Marvin Siebdrath sein bestes Rennen des Jahres. (© gp-photo.de)

Druck im Sport ist immer vorhanden. Wer keine Leistung bringt, fliegt. Das scheint im Motorradsport – so habe ich den Eindruck – teils noch ein bisschen gnadenloser zu sein als in anderen Sportarten. Da wird in einer Moto3 WM mitten in der Saison ein junger Fahrer rausgeworfen, obwohl er einen laufenden Vertrag hat und vielleicht sogar erst seine erste Saison in der Weltmeisterschaft absolviert. Der Druck, auf den Punkt Leistung bringen zu müssen ist somit gnadenlos. Natürlich spielt hier auch oft Geld eine Rolle, denn Motorradsport kostet. Doch Sponsoren sind schwer aufzutreiben, in einem Land wie Deutschland, was weniger motorradverrückt als beispielsweise Spanien ist, natürlich noch viel mehr.

 

Doch das neu geschaffene Team der Racing Academy Sachsenring, kurz RAS-IntactGP, macht den Eindruck, als ob es Fahrern Zeit geben kann und will. Durch die Unterstützung des Deutschen Moto2 Teams von IntactGP bekommt es prominente Unterstützung aus der Weltmeisterschaft und mit einem erfahrenen Teamchef und technischen Leiter ist es auch personell seriös aufgestellt. Ein nicht zu unterschätzender Fakt, denn mancher Fahrerkarriere blieb in weniger gut aufgestellten Teams schon auf der Strecke.

 

Für Marvin scheinen die äußeren Bedingungen somit zu stimmen. Eigentlich kann man schon fast von einer Traumkonstellation sprechen, die sich da rund um den Sachsenring etabliert hat. Oft waren in den letzten Jahren Klagen zu hören, es gäbe keine guten Bedingungen für jungen Rennsportnachwuchs in Deutschland. Für Marvin gilt dieser Satz nicht. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe des Sachsenrings, Team, Strecke und Trainingsplätze sind in unmittelbarer Nähe seiner Heimat angesiedelt. Während viele Talente für kleinste Trainingseinheiten lange Wege auf sich nehmen müssen, ist hier alles gebündelt vor Ort. Es gibt fixe Trainingspläne, gemeinsame wöchentliche Trainingseinheiten, kurze Abstimmwege und das Team direkt um die Ecke.

 

Aber all das hilft nur wenig, wenn bestimmte persönliche Bedingungen nicht erfüllt werden. Der Ehrgeiz und das Talent eines Nachwuchspiloten beispielsweise. Bei beidem herrscht bei Marvin – so scheint es – kein Mangel. Schon zur Saisonhalbzeit bestätigte mir Teamchef Dirk Reissmann, dass Marvin „eine gehörige Portion Talent“ mitbringt. Auch sein Ehrgeiz ist groß. Manchmal vielleicht zu groß, wie er weitererzählt. „Marvin hat viel Ehrgeiz. Der steht ihm aber manchmal etwas im Weg. Das erlebe ich beispielsweise immer bei den Starts. Da nimmt er sich vielleicht manchmal etwas zu viel vor, will zu viel und blockiert sich dadurch selbst. Wenn wir diesen Willen in die richtigen Bahnen lenken können, dann kommen wir weiter. Man muss ja auch einfach sehen, dass er noch sehr jung ist. Und da muss man einfach auch noch viel probieren und sortieren“.

Rad an Rad Duelle: Für Marvin Siebdrath auch im ADAC Northern Europe Cup schon Alltag.
Rad an Rad Duelle: Für Marvin Siebdrath auch im ADAC Northern Europe Cup schon Alltag. (© IntactGP)

Dieses probieren setze sich im Laufe der Saison bei Marvin immer weiter in die richtige Richtung durch. Nicht nur die Rennresultate wurde immer besser, auch die Trainingsergebnisse wurden von Rennen zu Rennen stärker. Zum Ende hin klopfte er schon bei den Top drei seiner Klasse an – mehr als respektabel, wenn man sieht, welche Fahrer hier nicht nur älter, sondern auch erfahrener in der Serie unterwegs sind. Eine solche Entwicklung weckt natürlich Begehrlichkeiten. Wenn man langsam aber sicher oben mit dabei ist, will man sich dort etablieren. Und so ist von allen Beteiligten die Zielsetzung für 2018 klar formuliert. Marvin selbst packt neben der Zielformulierung „dauerhaft in die Top drei fahren“ noch den Wunsch mit drauf, einige Rennen gewinnen zu wollen. Sein Vater Sören muss bei der Nachfrage lachen und spricht von „nächster Saison ist Angriff, die Top drei sind das Ziel“. Und auch Teamchef Reissmann bläst ins gleiche Horn „mit dauerhaft Top fünf Platzierungen, gegen Ende Top drei und vielleicht sogar ein Sieg“.

 

Ob es wirklich funktioniert? Erst die Ergebnisse in 2018 werden zeigen, wohin der Weg geht. Denn gerade bei so jungen Piloten kann viel passieren. Es ist jetzt ein Alter, in dem die Pubertät beginnt. Eine Zeit, in der sich viel verändern kann. Der Körper, die Interessen und oft auch der Fokus. Ich selbst war ganz erstaunt, als ich vor kurzem mit Marvin telefonierte. Seine Stimme hatte sich gegenüber dem Sommer massiv verändert und auch seine Mutter berichtet davon, dass er in der Länge einige Zentimeter mit draufgepackt hat. Was das Interesse, den Fokus auf seinen Sport betrifft, da sieht Dirk Reissmann keine Probleme. „Pubertät kostet auch für uns als Betreuer immer Kraft. Marvin ist ja nicht der erste junge Fahrer, den wir begleiten. Es gibt in dieser Phase Momente, da wissen auch wir nicht so recht, wie wir die Jungs anpacken sollen. Bei Marvin habe ich da aber weniger bedenken, weil er weiß, was er will. Das hilft in dieser Zeit sehr“.

 

Trotzdem wird es Rückschläge geben, auch wenn sie derzeit (noch) nicht in Sicht sind. Im Motorradsport entscheiden oft Millisekunden, ob du im Rennen der Depp oder der Held bist. Und gerade junge Piloten, mit noch relativ wenig Erfahrung können in einem Rennen auch einfach mal über das Ziel hinausschießen und sich fix mal etwas Brechen. Gerade vielleicht auch, wenn man zu viel will. Und da sind wir auch schon an der größten Baustelle von Marvin für 2018 angelangt. Seine ersten Runden in einem Rennen mit seinem Start.

Frisch. Frech. Fröhlich. Und schnell. Marvin Siebdrath 2017.
Frisch. Frech. Fröhlich. Und schnell. Marvin Siebdrath 2017. (© IntactGP)

Er selbst meint, dass dies vielleicht noch mit seiner Zeit auf dem Minibike zu tun hat. „In dieser Serie sind wir mit kalten Reifen losgefahren und mussten am Anfang vorsichtig sein um nicht zu stürzen. Im NEC jetzt sind die Reifen vorgewärmt und ich kann von Beginn an Vollgas geben. Vielleicht hängt mir das noch ein bisschen nach“. Auch sein Teamchef sieht an dieser Stelle noch Handlungsbedarf. Die Saisonvorbereitung für 2018 sollte jedoch wesentlich besser verlaufen als im Jahr zuvor. Mehrere Trainings an der Strecke – auch im Winter – sind geplant. Zeit, um sich mit dieser „Schwäche“ auseinanderzusetzen. Dazu kommt, dass man Team, Maschine und Strecken schon kennt und dieses ständige „neue“ für 2018 somit wegfällt. Ein wichtiger Aspekt, um sich noch besser auf die Rennen konzentrieren zu können.

 

Marvin selbst ist mit seinem ersten Jahr im NEC sehr zufrieden. „Ich fand es super, dass ich so schnell gute Rundenzeiten fahren konnte. Das hatte ich ehrlich gesagt nicht erwartet.“ Womit war er besonders zufrieden? „Mit meinem Rennen in Brünn“, sagt er. „Da konnte ich plötzlich drei Sekunden schneller fahren als in der Runde zuvor. Aber die Zeiten insgesamt waren auf der Strecke einfach super. Das hat mir gefallen“ Und was war 2017 nicht so toll? „Die Stürze – gerade zum Ende der Saison hin“, erzählt Marvin. „Aber je schneller man wird umso größer ist die Gefahr sich hinzulegen. Das hat mir nicht so gefallen“. Was hast Du gelernt? „Mit dem Team zu arbeiten. Das kannte ich bislang so nicht. Nach jedem Training und Rennen haben wir uns eine halbe Stunde hingesetzt und Daten ausgewertet. Das war schon eine gewisse Umstellung für mich“, berichtet er.

 

Jetzt beginnt für Marvin die saure Gurkenzeit für Rennfahrer. Denn im Winter ist ein Fahren mit den Bikes in Deutschland so gut wie ausgeschlossen. Deswegen geht es schon direkt nach Weihnachten nach Spanien zu einem Trainingslager. Auch zu Beginn des kommenden Jahres wird es noch einmal nach Spanien gehen. Daneben steht aber auch allgemeines Fitnesstraining auf dem Programm, einen entsprechenden Trainingsplan hat er von seinem Team für die Winterpause erhalten.

 

Das erste Jahr geht für Marvin im ADAC Northern Europe Cup zu Ende. Es war ein Jahr mit mehr Höhen als Tiefen. Die Resultate wurden besser, die Rundenzeiten konstanter und schneller. Die ersten Schritte für eine erfolgreiche Rennfahrerkarriere sind getan. Jetzt gilt es alles zu tun, um optimal vorbereitet in die Saison 2018 gehen zu können. Die Grundlagen sind da, ein motiviertes und gut aufgestelltes Team auch. Vieles will und muss noch gelernt werden und doch stehen die Chancen gut, dass hier ein Talent erfolgreich seinen Weg gehen könnte.

Markus Kahl


Deutschland fehlt der Motorrad Rennsportnachwuchs. Ein Problem, mit dem viele „Randsportarten“ zu kämpfen haben. Aber es gibt sie natürlich, die Kinder und Jugendlichen, die den Motorradsport mit Leidenschaft betreiben. Sie haben große Ziele, Träume. Doch wo wird der Weg sie hinführen?

 

Diese Frage haben wir uns auch gestellt und deshalb beschlossen: Wir finden es einfach heraus. Ab sofort werden wir Motorradsport Nachwuchs in dieser Rubrik begleiten. Nicht ein Rennen, nicht zwei Rennen, sondern sehr viel länger. Vielleicht ein Jahr, vielleicht auch mehrere Jahre. Wir wollen immer wieder zeigen wo sie stehen, wie sie sich entwickeln und wo Hindernisse auftreten.

 

Die jungen Wilden. Der Motorradsport Nachwuchs bei Motosports24.

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